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Deutsch-französisches Zirkusprojekt geht in die 10. Runde

Am Dienstag, den 16. Mai 2023 erreichte das 10. Deutsch-französische Zirkusprojekt mit einer großen Aufführung vor Eltern, Verwandten, Freunden, Mitschüler*innen und Lehrer*innen, die zahlreich aus Düren und Noyelles-sous-Lens angereist waren, seinen Höhepunkt.

Während sich ab 14. 30 Uhr das Zirkusgelände des Latibul nach und nach mit gespannten Gästen füllt, erhalten die Artist*innen im großen 3-Mast Zelt „Nido“ die letzten Instruktionen für ihren Auftritt, Abläufe werden schnell noch einmal rekapituliert, Material und Requisiten werden zurecht gerückt. Alle sind auf’s Höchste gespannt.

Dann endlich ist es soweit. Die Zelttüren öffnen sich, die Zuschauer*innenbänke sind schnell gefüllt und es heißt zum 10. Mal „Manege frei!“ für die Artist*innen der Anne-Frank-Gesamtschule und des Collège Pierre Brossolette.

Passend zum guten Wetter und der besonderen Atmosphäre des Latibul – zu Deutsch „ein Ort, an dem man dem Alltag entfliehen kann, die Seele einhüllen, auf andere Gedanken kommen und in eine andere Welt eintauchen kann“ – zieht sich das Thema „Urlaub“ wir ein roter Faden durch die gesamte Aufführung. Die Vorstellung beginnt mit einem Entrée der Gesamtgruppe ausgestattet mit bunten (Hand-)Tüchern ganz offensichtlich auf dem Weg zum Strand, wo man es sich gemütlich macht, bis ein Unwetter die Gruppe vertreibt. Sodann betreten die Jongleure die Bühne, gleich einer Gruppe von Touristen auf Sight-Seeing Tour, aus der sich immer wieder kleine Gruppen herauslösen, um ihr Können mit Bällen, Tüchern, Keulen, Ringen, Jonglierstäben, Diabolos und Devilsticks zum Besten zu geben – selbstverständlich bleibt man im Urlaub, ob beim Angeln oder Schwimmen, bei Traumwetter oder Regengüssen. Es folgen die Bodenakrobat*innen  mit verschiedenen Pyramiden, aber ganz offensichtlich auch Verabredungen zum Surfen. Nachdem diese auf eine Riesenwelle davon getrieben sind, tauchen aus dem Nebel die Luftakrobaten auf, gespannt, was sich in der Luft so tut, und zeigen waghalsige Einzel- und Partnerfiguren am Trapez und Vertikaltuch. Schließlich sind die Balancekünstler*innen an der Reihe. Sie springen von Kugel zu Kugel, steigen dabei durch Reifen, jonglieren auf dem Rola Bola, Surfen auf der Lauftonne, bewegen sich allein, zu zweit, jonglieren zur selben Zeit, springen Seil oder lassen sich hoch in die Luft heben und bewegen sich geschickt auf dem Drahtseil. Zum Abschluss findet sich die Gesamtgruppe wieder am Strand ein, es werden Becherburgen gebaut und die Strandflagge gehisst. Alles hat wie am Schnürchen geklappt, alle arbeiteten Hand in Hand, und es war unübersehbar, dass alle für das große, gemeinsame Ganze Verantwortung übernommen hatten. Der tosende Applaus während der Einzeldarbietungen und am Ende der Vorstellung war mehr als verdient und so wurde dieser Erfolg am Abend bei einer großen Abschlussparty im Zirkuszelt gebührend gefeiert.

Möglich wurde diese Leistung durch 8 Tage tägliches Zirkustraining, das mit einem Schnuppertag begann, an dem jede*r alle Disziplinen einmal kennenlernen und ausprobieren konnte, bevor dann die Entscheidung für die Aufführungsdisziplin gefällt werden musste. In den folgenden Tagen setzte sich die Arbeit mit intensivem Training in Kleinruppen entsprechend der gewählten Aufführungsdisziplinen fort und es wurde natürlich auch immer wieder in der Gesamtgruppe ein gemeinsames Entrée und Finale geprobt.

Dabei war es wie immer in diesem Projekt eine besondere Herausforderung, die überaus heterogene Gesamtgruppe – insgesamt 51 Schüler*innen aus Deutschland und Frankreich aus den Jahrgängen 6 bis 8, von denen sich viele zu Beginn des Projektes noch gar nicht kannten – zusammenzuführen und für das gemeinsame große Ziel zu begeistern.  Dies gelang schnell, denn die Vielfalt der Möglichkeiten, die die zirkuspädagogische Arbeit bietet, bestätigte hierbei wie schon so oft das hohe inklusive Potential des Projektes, denn sie erlaubte es allen Teilnehmer*innen, ungeachtet der persönlichen Voraussetzungen – sportlich oder weniger sportlich, selbstbewusst oder eher zurückhaltend, kräftig oder weniger kräftig, mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, mit und ohne Vorerfahrungen mit Gruppenbegegnungen etc. -, individuelle Talente und Vorlieben zu entdecken und auszubauen und schnell einen Platz in der Gruppe zu finden. Dazwischen gab es immer wieder Spiele und Aktivitäten mit der Gesamtgruppe, die nicht nur Spaß machten, sondern auch den Teambildungsprozess hervorragend unterstützten. Das gleiche galt für die Sprachanimationseinheiten, bei denen die Teilnehmer*innen auf spielerische Art und Weise an die Verwendung der jeweils anderen Sprache herangeführt wurden aber auch zahlreiche anderen Möglichkeiten der Kommunikation erproben konnten. Die Konfrontation mit Kindern, die eine andere Sprache sprechen, wurde so zwar als Herausforderung erkannt, bildete aber schnell keine Barriere mehr, die dem gemeinsamen Leben und Erleben im Wege stand.

Die Unterbringung in national gemischten Zimmern, gemeinsame Mahlzeiten in der Jugendherberge sowie mittags auf dem Zirkusgelände, Freizeit im Park oder auf dem Basketballplatz hinter der Jugendherberge, aber auch Ausflüge in die Kölner Innenstadt und den Zoo leisteten ebenso ihren Beitrag dazu, dass sich hier in nur wenigen Tagen eine zirkusbegeisterte Gruppe gebildet hat, in der Alter, Herkunft, Geschlecht sowie individuelle Interessen und Voraussetzungen keinerlei Rolle mehr spielten.

So vergingen die 8 Tage wie im Fluge und es war mehr als verständlich, dass beim Abschied am Mittwochvormittag reichlich Tränen flossen.

Glücklicherweise stehen die Termine für die Fortsetzung des Projekts in Lille/ Frankreich im nächsten Jahr bereits und so freuen wir uns gemeinsam mit allen darauf, auch dann wieder für 8 Tage dem Alltag entfliehen und in die Welt des Zirkus eintauchen zu können, wenn es im Mai 2024 zum 11. Mal heißt „Manege frei“ für zirkusbegeisterte Schüler*innen der AFG und des Collège Pierre Brossolette.

 

Text/ Fotos: F. Hiltmann