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Stelenaktion 2020

Der 9. November ist ein Schicksalstag in der deutschen Geschichte, im positiven (Fall der innerdeutschen Mauer 1989) wie im negativen (Reichspogromnacht 1938) Sinne. Seit 1992 wird in Düren jedes Jahr am 9. November der Gräueltaten der Nationalsozialisten gedacht. Menschen versammeln sich an jenen zehn Orten im Dürener Stadtgebiet, an denen seit 1988 die von Ulrich Rückriem geschaffenen zehn Granitstelen an die Verbrechen der Nazis erinnern und mahnen, dass so etwas nie wieder geschehen darf.

Eine dieser Granitstelen befindet sich auf dem Schulhof der Anne-Frank-Gesamtschule, und es ist seit Jahren eine feste Tradition, dass der zehnte Jahrgang eine Gedenkveranstaltung ausrichtet, zu der nicht nur Mitschüler*innen, Freund*innen und Lehrer*innen kommen, sondern stets auch Menschen aus der Nachbarschaft der Schule. In jedem Jahr schaffen es die Schüler*innen, andere Facetten im Gedenken an den 9. November zu beleuchten und dadurch neue Denkanstöße zu geben.

Dieses Jahr ist durch die Corona-Pandemie jedoch alles anders. Treffen im öffentlichen Raum sind im November auf Personen aus zwei Haushalten beschränkt. Eine öffentliche Gedenkveranstaltung wie die sogenannte Stelenaktion kann somit nicht stattfinden.

Wir, d.h. die Schüler*innen und Lehrer*innen des 10. Jahrgangs bedauern dies sehr. Denn auch wenn unsere Planungen angesichts der generellen Unsicherheit der letzten Monate noch nicht sehr weit fortgeschritten waren, als am 14. Oktober schließlich klar wurde, dass unsere Stelenaktion nicht würde stattfinden dürfen, hatten wir doch schon einige grundlegen Überlegungen getätigt.

Wir wollten bei unserer Gedenkveranstaltung einen Bezug zu aktuellen Ereignissen herstellen und die Stelenaktion unter das Motto stellen: „Dem Hass entgegentreten.“ Denn wir alle waren entsetzt, als wir unlängst bei sogenannten „Anti-Corona Demos“ Reichkriegsflaggen schwenkende Neo-Nazis vor dem Reichstag in Berlin sehen mussten.

Wie kann es sein, dass sich so etwas ereignet? Rassismus, Hass und Ausgrenzung dürfen sich nicht in unserer Gesellschaft breit machen. Dem entgegenzuwirken, sehen wir uns als Schule, die den Namen Anne Frank trägt, zutiefst verpflichtet.

Die Corona-Pandemie schafft nicht nur große Unsicherheit, sondern schürt auch bei vielen verschiedenste Ängste.
Angst, sich zu infizieren und schwer zu erkranken.
Angst, alte oder kranke Angehörige oder Freunde anzustecken und am Ende zu verlieren. Angst um den Job oder die wirtschaftliche Grundlage, die man sich vielleicht über Jahre erst mühsam aufgebaut hat und die jetzt durch die neuerlichen Einschränkungen existenziell bedroht ist.
Angst, dass sich durch die vielen Beschränkungen unsere Gesellschaft nachhaltig verändert.

Alle diese Unsicherheiten und Ängste der vergangenen Monate haben den Ton in der Gesellschaft merklich rauer werden lassen. Bei vielen liegen die Nerven blank und ein falsches Wort, ein leeres Toilettenpapierregal im Supermarkt oder eine blanke Nase über der Maske kann das Fass zum Überlaufen bringen.

Dabei sollten wir alle gerade jetzt zwar körperlich auf Abstand bleiben, aber doch innerlich zusammen stehen, uns gegenseitig unterstützen und solidarisch füreinander einstehen. Und uns genau jenen Kräften, die Hass schüren und eine Spaltung der Gesellschaft vorantreiben wollen, entgegenstellen, damit eben nicht wieder Fahnen schwenkende und dumpfe Parolen schreiende Massen die Oberhand gewinnen, so wie damals, in der Nacht vom 9. auf dem 10 November 1938.

Der November 2020 ist ein Monat, in dem sich entscheidet, wie es mit Deutschland weiter geht. Wir alle können dazu beitragen, dass sich das Schicksal zum Guten wendet.

In diesem Sinne: Passen Sie auf sich auf, bleiben Sie gesund und geben Sie aufeinander Acht!

Text und Foto: K. Brockmann

Bildunterschrift: Impression von der Stelenaktion 2019